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Brigitte Falkenburg, Mythos Determinismus
Berlin, Heidelberg 2012 (Springer)

Anlass für Falkenburgs Buch ist zum einen die von den Neurowissenschaftlern Gerhard Roth und Wolf Singer ausgelöste Debatte über die Illusion unserer Freiheit. Deren Meinung nach sind wir durch hirnphysiologisch messbare Abläufe in unseren Handlungen und Entscheidungen bereits determiniert, bevor wir das, was uns als unsere ureigene Entscheidung erscheint, getroffen haben. Zum anderen ist es aber auch der Anspruch der Hirnforscher, alle Vorgänge des Geistes naturwissenschaftlich erklären zu wollen und für dieses Ziel - zum Teil als Versprechen für die nahe Zukunft formuliert - Milliarden von Forschungsgeldern zu beantragen.
„Mythos Determinismus" ist eine kritische Bestandaufnahme der Methoden der Physik, deren Anwendung und Ergebnisinterpretation in der Hirnforschung. Falkenburg trennt scharf zwischen hirnphysiologischen Prozessen und mentalen Prozessen. Hirnphysiologische Prozesse seien mit physikalischen Methoden nachweisbar, aber daraus Schlüsse zu ziehen auf das, was wir als unsere Bewusstseinsinhalte erleben, hält sie für hybrid und ungekonnt. Die Methoden, mit denen wir mentale Inhalte oder unsere erlebten Wahrnehmungsprozesse angemessen beschreiben können, liefert nach Falkenburg die Phänomenologie und nicht die Physik.
Falkenburg unterzieht die Argumentation der Hirnforschung einer wissenschaftlichen Kritik, indem sie die Eindeutigkeit der ihr zugrundeliegenden Begriffe, ihre Schlüssigkeit der Argumentation, Argumentationslücken und die Schließverfahren vom Experiment auf die aus dessen Ergebnissen interpretierte Bedeutung untersucht. Ihre Argumentation ist detailreich und komplex. Um sie verständlich zu machen, beziehe ich mich hier ausschließlich auf das „Libet-Experiment". Obwohl es im Buch nur einen geringen Raum einnimmt, ist es das in der Öffentlichkeit bekannteste Beispiel, weil Roth an ihm seine Determinismusthese begründet hat.
In besagtem Experiment sollen Versuchspersonen sich irgendwann während des Versuchs entscheiden, den Finger zu heben und sich den Zeitpunkt ihrer Entscheidung auf einer Uhr merken. Gemessen wurden dabei Hirnaktivitäten, insbesondere das Bereitschaftspotential, das aktiv sein muss, wenn Tätigkeiten erfolgen. Interessantes Ergebnis des Versuchs war, dass das Bereitschaftspotential von den Versuchsleitern physikalisch zu einem Zeitpunkt gemessen werden konnte, der vor dem lag, den die Versuchspersonen als Zeitpunkt ihrer Entscheidung angaben. Roth schloss daraus, das Gehirn habe sich „vor uns" dazu entschieden, den Finger zu heben. Nicht wir seien das Subjekt, sondern das Gehirn steuere unseren Willen.
Ich nenne hier drei Punkte aus Falkenburgs Kritik:
1. Kritik am Versuch selbst
a)
Falkenburg zitiert Bennett und Hacker, die Libet mit ‚beißender Kritik' vorwürfen, er habe den Versuchspersonen eine „unsinnige Anweisung" gegeben nach dem Muster des ‚paradoxen Imperativs‘ „Sei spontan!" (193)
b)
Auch von vielen Hirnforschern werde kritisch bemerkt, dass es unmöglich sei, einen mentalen Prozess von anderen mentalen Prozessen zu isolieren. Diese Übergänge seien fließend und eben nicht voneinander abgrenzbar. Also: Wann entscheide ich mich, mitzumachen und wann entscheide ich mich, den Finger zu heben und wann entscheide ich den Zeitpunkt, zu dem ich den Finger tatsächlich hebe? Eine physikalisch messbare Grenze zwischen diesen Entscheidungsfaktoren kann man nicht ausmachen.
c)
Falkenburg nennt Henrik Walter, der darauf hinweist, dass die Versuchspersonen durch die Anweisung dazu gebracht wurden, sich selbst zu überwachen. Denn ihr entscheidendes Motiv sei nicht gewesen, die Hand zu heben, sondern dem Versuchsleiter gefallen zu wollen. In dem Fall seien sie einem körpereignen Trigger zum Opfer gefallen, den sie bei ihrer Bemühung, ohne Absicht den Finger zu heben, bemerkt hätten, weil sie schon vor Versuchsstart die Absicht gehabt hätten, den Finger zu heben. Welche Entscheidung hat man also gemessen? Oder hat man den Trigger gemessen?
2. Unklar ist, auf welchen Zeitbegriff sich hier bezogen wird
Weder bei der Versuchsanordnung noch bei den Interpretationen wurde zwischen objektiver Zeit und subjektivem Zeitempfinden unterschieden. Das sei nach F. umso verwunderlicher, als gerade die Hirnforschung belegt habe, dass sich unsere mentalen Zeitempfindungen von den physikalisch messbaren unterscheiden. Unser Zeitempfinden bemisst Zeitpunkte oder die Zeitdauer nach Ereignissen (seit Leibniz unwidersprochen) und nicht nach objektiven Zeittakten. Warum der im Versuch physikalisch gemessene Zeitpunkt mit dem von der Versuchsperson angegebenen Zeitpunkt verglichen werden darf bzw. unter welchen Bedingungen beide überhaupt verglichen werden können, müsste nach Falkenburg eigens begründet werden, was aber nicht passiert ist.
3. Unklar ist, nach welchem Kausalitätsbegriff hier abgeleitet/geschlossen wird.
Falkenburg gibt hier vier verschieden Kausalitätsbegriffe an, die in der Physik benutzt werden.
a) traditioneller Kausalbegriff: Suche nach einer Ursache für eine gegebene Wirkung. Findet Verwendung bei Top-down-Analysen, wenn noch keine Theorie der mathematischen Physik besteht.
b) Hier geht es um „deterministische Geschehen", bei denen eine gesetzmäßige Verknüpfung von Ursache und Wirkung besteht. Bsp: Gravitationsgesetz, quantenmechanische Wellenfunktion. Wichtig ist hier, dass die Geschehen nach striktem Gesetz erfolgen - ihre zeitliche Ordnung ist hier nicht gemeint.
c) Irreversible Vorgänge, die nur „probabilistisch determiniert" sind, aber nicht „gesetzmäßig verknüpft" sind. Bsp. Entropie und Quantenmechanik. Hier gibt das Geschehen „die zeitliche Ordnung von Ursache und Wirkung wider, aber nicht ihre gesetzmäßige Verknüpfung. (281)
d) Einstein-Kausalität. Bezieht sich nur auf Ereignisse innerhalb der Lichtgeschwindigkeit (Spezielle Relativitätstheorie), kann daher keine Aussagen über Beziehungen von Teilchen außerhalb des Lichtkegels machen. Wollte man das, müßte man das Erklärungssystem wechseln.
Für Falkenburg steht die Hirnforschung vor dem Problem, dass sie Aussagen über „zwei Ganzheiten" (330) macht, nämlich über das Gehirn und über den Geist. Physisch können „Gehirnareale und Neurone" untersucht werden, mental „kognitive Leistungen und ihre Komponenten, die sich in Ausfallerscheinungen zeigen" (330), z. B. nach Schlaganfällen oder Hirnverletzungen. Die Verbindung zwischen beiden „Ganzheiten" wird von vielen Hirnforschern als ein informationstheoretisches Problem gesehen, nicht als ein dynamisches. In diesem Zusammenhang weist sie auf den inflationären Gebrauch zweier Begriffe hin:
1. „Information" werde nicht näher bestimmt, auch wenn der Begriff auf sehr unterschiedliche Bereiche bezogen werde. Der elektrische Impuls zwischen Neuronen werde „Information" genannt, mentale Verarbeitung bewusster Inhalte aber auch. Unter anderem dieser unklare Gebrauch führe dazu, dass viele Erklärungsmodelle des Gehirns an Schaltkreis- und Rechnermodelle erinnerten.
2. „Emergenz" sei ein Begriff, der häufig eine Erklärungslücke fülle, z. B. dann, wenn man nicht erklären könne, wie der Übergang vom Physischen zum Mentalen ablaufe.
Und fehlende Erklärungen gebe es grundlegender Art. Hier nur drei Beispiele. Nach Falkenburg wüßten Hirnforscher nicht,
- „wie sich die Neurone im Gehirn verbandeln, um kognitive Probleme lösen zu können"
- „welche konkreten neuronalen Mechanismen dafür verantwortlich sein könnten, dass etwas in unser Bewusstsein dringt"
- wie sie „das neuronale Bindungsproblem so präzisieren [könnten], dass klar würde, wo das Computer-Modell künstlicher neuronaler Netze aufhört und wo die Modellierung des wirklichen neuronalen Geschehens im Gehirn beginnt." (348)

Es gibt also noch so viel zu tun, dass man sich fragt, wem sind denn die Trainer und Personalweiterbilder, die sich auf „Ergebnisse" der Hirnforschung beziehen, auf den Leim gegangen?

 

 

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